»70 Prozent der Welternährung wird von Kleinbauern gestemmt«

Rudolf Bühler ist Biobauer und Diplom-Agraringenieur. Er bewirtschaftet den Sonnenhof in Wolpertshausen in 14. Generation. Gemeinsam mit acht Bauern gründete er 1988 die Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall, der heute 1450 Höfe angehören. Sie versteht sich als Initiative zur bäuerlichen Selbsthilfe, die durch eine regionale Wertschöpfung die Entwicklung der Region um Hohenlohe fördert.

Stadt Land Food: Eure Initiative hat eine alte Schweinerasse, das Schwäbisch-Hällische Landschwein, gerettet. Kannst Du diesen Prozess für uns beschreiben?

Rudolf Bühler: Genau. Ich war nach meiner Ausbildung zum Bauern zunächst sechs Jahre in der Entwicklungshilfe in Afrika und Asien unterwegs und als ich dann 1983 nach Hause kam, um den Sonnenhof zu übernehmen, musste ich feststellen, dass unsere traditionsreiche Hohenloher Landrasse, das Schwäbisch Hällische Landschwein, ausgestorben war. Gerade in der Entwicklungshilfe wurde mir bewusst, wie wichtig die lokalen Rassen und Sorten sind, die über Generationen von den Kleinbauern dieser Welt entwickelt und gezüchtet wurden. Also: “Think global – act local“ – die Hällischen Schweine mussten gerettet werden! Ich konnte gut zwei Dutzend Tiere aufstöbern, die in verborgenen Winkeln bei Kleinbauern in Süddeutschland überlebt haben. Diese bekamen dann auf unserem Sonnenhof in Hohenlohe Asyl. Das war 1984: Der Neubeginn – ausgehend von der historischen Zucht – einer der ältesten Schweinerassen in Deutschland.

Stadt Land Food: Das Schwäbisch Hällische war gewissermaßen zu einem Modernisierungsopfer geworden. Umgekehrt würdet Ihr Euch aber sicher nicht als unmodern oder ultra-traditionalistisch charakterisieren. Was muss sich noch ändern für eine zukunftsfähige Landwirtschaft?

Rudolf Bühler: Wir müssen begreifen, dass die alten Rassen und Sorten Schätze sind. Kulturgut und Wirtschaftsgut der bäuerlichen Gesellschaften. Sie wurden über Generationen von Bauerngeschlechtern domestiziert: von den Wildformen zu Haustierrassen und Kultursorten. Dies sind die „Common Assets“ der Bauern und der ländlichen Gesellschaften, das Gemeinschaftseigentum der jeweiligen ländlichen Region. Und nicht der Agrar-, Chemie- und Foodkonzerne, die diese Common Assets abgreifen und zu ihrem Geschäftsmodell machen wollen und damit die Bauern auf kaltem Wege enteignen. Widerstand tut not, deshalb auch die „Declaration for the Peasants Rights“ und die „Haller Erklärung 2017“.

Stadt Land Food: Was bedeuten Dir Innovation, was Tradition in der Landwirtschaft?

Rudolf Bühler: Tradition darf in den Zeitläuften nicht nur rückwirkend verstanden werden, sondern muss weiterentwickelt werden, jede Generation fügt ihre Werte hinzu. Aus der Tradition schöpfen und in die Zukunft blicken. Gerade unsere alten Tierrassen wie das Schwäbisch-Hällische Landschwein zeigen genau dies auf. Die Rasse ist robust, vital, fruchtbar, eignet sich bestens für den Weidegang, verwertet Grundfutter, Klee und Gras und hat eine hervorragende Fleischqualität. Genau die Eigenschaften, die heute in der ökologischen Landwirtschaft wieder wichtig sind und dringend gebraucht werden! Denn: Hybriden und „Mainstream Breeds“ brauchen Soja und Getreide um ordentlich zu wachsen, das ist eigentlich aber Ernährungsgrundlage für die Menschen.

Stadt Land Food: Tiere artgerecht zu halten, ist im Wortsinne auch eine Frage der Haltung. Es ist aber auch eine Frage der Gesetzgebung und der Landwirtschaftspolitik. Welche Wünsche hättest Du diesbezüglich.

Rudolf Bühler: Ich wünsche mir, dass die Politik die notwendigen Leitplanken einzieht. Dass sich ökologisch nachhaltiges bäuerliches Wirtschaften rechnet. Dies geht eigentlich ganz einfach: Das chemisch-technische Landwirtschaftssystem muss mit seinen externen Kosten, die es verursacht – Belastung des Trinkwassers, Artensterben, Humusverbrauch, Insektensterben, Klimaschäden, Sozialkosten – belastet werden. Die Politik muss hier dem bewährten demokratischen Prinzip folgen, dass die Verursacher dieser Kosten auch hierfür aufzukommen haben und diese volkswirtschaftlichen Kosten nicht sozialisiert und am Ende von der Gesellschaft getragen werden müssen. Das ginge über Steuern und Abgaben auf die von den Anwendern dieser industrialisierter Agrarwirtschaft verursachten Schäden und Problemstellungen. Im Gegenzug muss die ressourcen- und umweltfreundliche ökologische bäuerliche Landwirtschaft für ihre landeskulturellen Leistungen korrekt entlohnt werden, sowohl über ordentliche Erzeugerpreise, als auch über den Transfer von geldwerten Leistungen, die nicht über die Erzeugerpreise entlohnt werden.

»Das chemisch-technische Landwirtschaftssystem muss mit seinen externen Kosten, die es verursacht – Belastung des Trinkwassers, Artensterben, Humusverbrauch, Insektensterben, Klimaschäden, Sozialkosten – belastet werden.«

Stadt Land Food: Wir sprechen bei Stadt Land Food gerne von der kleinteilig-bäuerlichen Landwirtschaft, aber braucht es vielleicht manchmal eine gewissen Größe, um Wandel durchzusetzen?

Rudolf Bühler: 70 Prozent der Welternährung wird von Kleinbauern gestemmt. Auch in Zukunft wird die Welt überwiegend von bäuerlichen Gesellschaften ernährt werden und nicht von Bayer und Monsanto. Es fehlt an Erkenntnis und es fehlt an angepasster Forschung und Entwicklungskonzepten. Wir wissen ja wie es geht, wir müssen’s nur anwenden und die Kraft zur Umsetzung entwickeln. Wir brauchen also die Agrarwende und hierzu gibt es nun neben unseren regionalen bäuerlichen Projekten in Hohenlohe auch das Bauernschloss Kirchberg an der Jagst als Ort der Bildung und Begegnung und des geistigen Austauschs, um von hier aus die Agrarwende mit zeitgemäßen Entwicklungsansätzen für die ländliche Regionalentwicklung zu befeuern.

Stadt Land Food: Stichwort verarbeitende Betriebe: Du bist Mitunterzeichner de Butcher`s Manifesto, weil eine gute, artgerechte Tierhaltung, Partner auf Augenhöhe braucht. Hast Du das Gefühl, dass es, deutschlandweit, wieder Platz und Lust für Handwerk gibt.

Rudolf Bühler: Es gibt uns Bauern Mut, dass sich mitten in Berlin, in Kreuzberg in der Markthalle Neun, ein Nukleus für die Good Food Bewegung entwickelt. Hier entstehen die wichtigen gesellschaftlichen Bewegungen für eine bessere und lebenswerte Zukunft, für den korrekten Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen, mit unserer endlichen Welt. Ganz im Sinne des großen Philosophen Albert Schweitzer: Ehrfurcht vor dem Leben – Respekt vor der Schöpfung. Deshalb sind wir dabei und unterstützen Euch in partnerschaftlicher Weise.