»Ich habe das Gefühl, dass Essen zunehmend in eine Hysterie abgleitet«

Sebastian Frank kam 2010 als Küchenchef ins Horváth am Paul-Lincke-Ufer und erkochte dort bereits im ersten Jahr einen Michelin-Stern, 2015 kam für eine nun deutlich konzentriertere Küche ein zweiter dazu. Exemplarisch dafür: ein über Monate im Salzteig gereifter Sellerie. Der 37-Jährige gebürtige Wiener ist der Bauchkoch unter den jungen, radikal regionalen Küchenchefs Berlins. Gemeinsam mit den Restaurants ernst und Lode & Stijn ist er Teil der von Billy Wagner und dem Nobelhart & Schmutzig initiierten „Gemeinschaft“, einer Art Interessengemeinschaft für kulinarische Zeitgenossenschaft.

Stadt Land Food: Sebastian, anlässlich der "Madrid Fusión", einem der wenigen wirklich ernstzunehmenden europäischen Gastro-Kongresse, wurdest Du in diesem Frühjahr zu „Europas Koch des Jahres“ gekürt. Schon die Bodenhaftung verloren?

Sebastian Frank: Ach, wo. Die Frage nach dem besten Koch bleibt doch so obsolet wie jene nach der besten Musik oder der schönsten Farbe. Da liegt vieles im Auge des Betrachters. Was mich gefreut, ja, tatsächlich berührt hat, ist, dass ich eine Jury, die nachweislich weiß, wovon sie redet, emotional bewegt habe.

Stadt Land Food: Muss es der guten Küche heute genau darum gehen: um Emotionalität?

Sebastian Frank: In einer globalisierten Welt, in der man alle Aromen überall organisieren kann, ist genau dieser internationale Stil endgültig uninteressant geworden. Die Leute wollen heute individuelle Geschichten, sie wollen sich berühren lassen. Umso mehr man diese Erzählung herunterbricht, von der österreichischen Küche auf eine regionale Küche und am Ende auf eine, meine Person, umso unmittelbarer kann diese Erfahrung werden.

Stadt Land Food: Woher dieser Mut, die Chuzpe, so ganz und gar von sich selbst zu kochen?

Sebastian Frank: Ich habe im Horváth ja auch klassisch angefangen, gehobene österreichische Küche mit dem einen oder anderen internationalen Produkt, Gänsestopfleber etwa oder Olivenöl. Nach einem halben Jahr habe ich innegehalten und mich gefragt, was ich da eigentlich mache. Was hat das mit mir zu tun? Heute würde ich sagen, ich kann gar nicht mehr anders kochen als radikal aus meiner Biografie heraus.

Stadt Land Food: Noch vor gar nicht langer Zeit wurde ja nur Sternekoch, wer lange genug Sous-Chef in einer Sterneküche war…

Sebastian Frank: Genau. Früher gelang das meist nur durch Inzest der eigenen Szenerie. Durch den Stallgeruch. Heute erlebst du in Berlin, aber auch in einem Laden wie dem Sosein bei Nürnberg Leute, die sich mit einem guten Gespür und den richtigen Fragen an unser Essen und unser Essverhalten autodidaktisch entwickeln. Ich habe in meinem Werdegang zwar das renommierte Steirereck in Wien drinnen – aber darüber hinaus habe ich mich ja auch so ziemlich selbst hingewurschtelt.

Stadt Land Food: Und doch scheint jemand für deine kulinarische Identität elementar zu sein: die Mutter…

Sebastian Frank: Ach, meine Mutter ist jetzt auch nicht die beste Köchin. Aber sie hat alleinerziehend drei gefräßige Söhne großgezogen, indem sie frisch gekocht hat. Wichtig war also nicht, wie gut meine Mutter gekocht hat. Prägend war, dass sie gekocht hat und dass ich so die regionale österreichische Küche mitbekommen habe.

»Heute würde ich sagen, ich kann gar nicht mehr anders kochen als radikal aus meiner Biografie heraus.«

Stadt Land Food: Nun behaupten ja gerade viele, wenn nicht radikal lokal, so doch irgendwie hiesig, saisonal und produktbezogen zu kochen.

Sebastian Frank: Die österreichische Küche, an der mein Herz so sehr hängt, ist ja eine Küche, die sich aus dem Bauerntum entwickelt hat. Die Leute hatten nichts und haben aus allem irgendwas gemacht. Es ist also durchaus richtig und wichtig, wenn sich jetzt auch hier in Berlin die Leute wieder fragen: Was haben wir? Was gibt es? Wie können wir damit arbeiten? Aber wenn wir dann weiterhin lieber diese asiatische Fusionsküche betreiben, keine Speisekarte mehr ohne Miso, Dashi und Bonito, alles wird gepuscht und übertönt mit diesen Umami-Bomben, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir zu keinem kulinarischen Fußabdruck Deutschlands kommen.

Stadt Land Food: Zu diesem Fußabdruck gehört – etwa im mit dir freundschaftlich verbundenen Nobelhart & Schmutzig – der konspirative Verweis auf die Produzenten und Lieferanten. Warum verzichtest du darauf?

Sebastian Frank: Nur ein Beispiel: Unser größter Gemüselieferant ist Bauer Zülz aus der Wustermark – den habe ich eines Morgens hier gegenüber auf dem Markt am Maybachufer gefunden. Diese Normalität will ich zurück ins Horváth holen. Ich will nicht aus dem Bauern einen Star, sondern auch aus einem Zwei-Sterne-Restaurant einen Ort machen, in dem es einfach um einen gelungenen Abend bei intuitiv begreifbarem Essen in einer guten Atmosphäre gehen soll.

Stadt Land Food: Der Nahrungsaufnahme ist also die Alltäglichkeit abhandengekommen?

Sebastian Frank: Ich habe das Gefühl, dass Essen zunehmend in eine Hysterie abgleitet. Entweder nur noch Paleo, Chiasamen, Superfood – oder aus dem Discounter tütenweise Schweinefleisch für 4,99 das Kilo. Dazwischen gibt es nichts mehr.

Stadt Land Food: Du lebst in Französisch Buchholz, gerade hast du ein Aroma aus dem Holz der Walnussbäume in deinem Garten für einen Nussstrudel extrahiert. Wie ist die kulinarische Lage an Berlins Rändern?

Sebastian Frank: Katastrophal. Ich würde gerne mit meinen Kindern auf ein Schnitzel oder was auch immer in ein Restaurant gehen, weil ich schon finde, dass sie einen Restaurantbesuch als etwas Alltägliches kennenlernen sollten. Aber im Umkreis von 30 Minuten gibt es da nichts. Also koche ich auch zuhause selbst – mit dem lustigen Nebeneffekt, dass ich so wieder auf ganz pure Aromen komme. Der Mut, sich der Banalität hinzugeben, einen Palatschinken zu servieren, der entsteht in genau solchen Momenten.