»Wir müssen über das Essen reden«

Patrick Wodni kommt ursprünglich aus Gießen und hat in Frankfurt am Main im Steigenberger Hotel den Kochberuf gelernt. Verschiedene Stationen unter anderem bei Safran Bio Catering, Nobelhart & Schmutzig und zuletzt die Arbeit als Küchenleiter im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe gaben ihm das langfristige Ziel, die Gegebenheiten an den Orten zu verbessern, an denen täglich viele Menschen essen.
In der Stadt Land Food-Woche stellt er das Menü in den landeseigenen Kantinen der Berliner Wasserbetriebe, der Berliner Verkehrsbetriebe und der Berliner Stadtreinigung um und wird während des Stadt Land Food-Festivals am 6. und 7. Oktober in einer ganz und gar zeitgemäßen Volksküche kochen.


Stadt Land Food:
Patrick, Du kochst, und zwar ausgerechnet in einer Krankenhausküche, regional und saisonal. Mit Produkten von kleinen, oft benachbarten Betrieben. Ähnlich, aber in einem ganz anderen Rahmen hast Du vorher auch schon gearbeitet: als Koch im Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig.

Patrick Wodni: Ich möchte meine Zeit dort auch nicht missen und habe erst recht eine ungeheure Achtung davor, was Micha Schäfer und Billy Wagner da mit dem Nobelhart auf die Beine gestellt haben. Diese Entschlossenheit, in der gehobenen Küche radikal regional zu kochen und den Gast auch mal mit Fragestellungen über unsere Esskultur zu konfrontieren, war damals neu. Aber irgendwann habe ich für mich gemerkt, dass das, was ich da Abend für Abend mache, eher der Arbeit eines Entertainers gleicht. Ich bereite Menschen, die eigentlich schon alles haben, eine tolle Zeit.

Stadt Land Food: Du hast die Dringlichkeit deiner Arbeit vermisst?

Patrick Wodni: Ich wollte dahin gehen, wo der Hut wirklich brennt. Und da war dann diese Anzeige: Die Havelhöhe, eine der größeren Kliniken in Berlin, will dem eigenen Anspruch eines anthroposophisch geführten Klinikums auch in der Krankenhausverpflegung gerecht werden.

Stadt Land Food: Was so ziemlich das genaue Gegenteil von Fine Dining ist.

Patrick Wodni: Ja und nein. Einerseits sind da die 4,74 Euro, mit denen ich die Patienten über drei Mahlzeiten am Tag bringen muss. Andererseits arbeite ich in der Havelhöhe jetzt teilweise mit denselben Produzenten wie damals im Nobelhart, dem Erdhof Seewalde etwa oder den Müritzfischern. Mir gefällt diese Nähe zu den Bauern und Produzenten: Wenn man so eng zusammenarbeitet und fast täglich in Kontakt steht, lernt man täglich etwas dazu.

Stadt Land Food: Was also hat der Koch Patrick Wodni von seinen Produzenten gelernt?

Patrick Wodni: Den Umgang auf Augenhöhe. Weil Gastronomie meiner Meinung nach eine Rechnung ist, die nur stimmen kann, wenn sie für alle Seiten aufgeht. Ich frage einen Produzenten nie: Was ist dein letzter Preis? Ich frage: Was brauchst Du für deine Ware und deine Arbeit? Und ich frage: Was hast Du in dieser Woche für mich?

»Ich frage einen Produzenten nie: Was ist dein letzter Preis? Ich frage: Was brauchst Du für deine Ware und deine Arbeit?«

Stadt Land Food: Aber macht das eine Großküche, wie du sie organisieren musst, nicht viel weniger planbar?

Patrick Wodni: Wenn man so arbeiten will, muss man sich ohnehin von der Vorstellung befreien, immer eine bestimmte Menge von einem bestimmten Produkt zu bekommen. In der Klinik Havelhöhe beispielsweise arbeiten wir intensiv mit dem benachbarten SpeiseGut, einer Solidarischen Landwirtschaft, zusammen. Wenn es dort, wie im vergangenen Jahr, einen großen Teil der Ernte verhagelt, dann tragen wir das solidarisch mit. Umgekehrt war es aber eine wahnsinnig gute Kürbissaison, also haben wir uns ziemlich viele Gedanken über Kürbisgerichte gemacht.

Stadt Land Food: Womit wir bei den Patienten angekommen sind, quasi deinen Kunden: Wie haben denen denn die Kürbisse geschmeckt?

Patrick Wodni: Schon klar, dass diese Frage viel grundsätzlicher gemeint ist. Natürlich waren nicht alle immer nur begeistert. Schon alleine, weil der Fleischkonsum eigentlich unsere einzige wirkliche Kostenschraube war und die meisten Menschen einfach zu viel Fleisch essen. Von 21 Hauptgerichten in der Woche, drei an jedem Tag, waren früher vielleicht 10-14 mit Fleisch, jetzt sind es nur noch drei. Und ich muss dabei hoffen, dass genug Patienten mittwochs Lust auf Milchreis haben, damit genug Budget für den Sonntagsbraten von den Freilandrindern bleibt.

Stadt Land Food: Wie sieht sie also aus, deine Überzeugungsarbeit?

Patrick Wodni: Der falscheste Weg wäre, bloß apodiktisch zu sagen, man müsse dies oder das essen, weil es eben gesünder ist. Ich sage jetzt auch ganz klar, dass ich niemanden dafür verurteile, weil ihm eine andere Küche besser schmeckt. Hier sind wir schon wieder bei der Chance und dem zentralen Problem der Gemeinschaftsverpflegung. Viele Leute wollen ihr übersalztes, überwürztes, fleischlastiges Essen, weil sie es von den Convenience-Produkten und eben aus ihrer Kantine so gewöhnt sind. Schmecken kann man lernen und eben auch verlernen. Und ich sehe es schon als eine Aufgabe in der Gemeinschaftsverpflegung, diesen Prozess auch zu moderieren. Glücksmomente sind immer, wenn Patienten, die vielleicht ein wenig länger bei uns waren, sich dann in der Küche bedanken, für das gute Essen, aber auch dafür, wirklich etwas über die Ernährung erfahren zu haben.

Stadt Land Food: In der Havelhöhe wird also viel über das gute Essen geredet?

Patrick Wodni: Wenn man etwas so Grundsätzliches wie die Ernährung ändern will, und zwar nicht erst in einem Apparat wie es ein Krankenhaus ist, dann geht das nicht ohne Kommunikation. Das ist ja auch das Problem an Debatten wie jener um den „Veggie-Day“ – da wurde etwas von oben herab deklariert, aber eben nicht in die Gesellschaft hineingetragen.

Stadt Land Food: Gutes, nachhaltiges Essen muss erfahrbar werden?

Patrick Wodni: Das fängt schon in der Küche an. Die Mitarbeiter einer Kantine können sich nur wenig mit dem Beruf des Kochs identifizieren, wenn Sie täglich Tiefkühltüten aufreißen, für zehn Minuten in den Dampf schieben und das dann als Möhrengemüse verkaufen. Wenn ich im Jahr davor mit einem Bauern aus der Nachbarschaft eine Anbauplanung erstelle und wenn ich dann die Möhren frisch vom Acker in der Küche liegen habe, dann erfahre ich mich als Teil einer Bewegung. Es geht darum, das Eigeninteresse an unserem täglichen Essen zu fördern und Strukturen zu schaffen, in denen wieder Platz für dieses Eigeninteresse ist. Wir müssen aufhören, Ernährung als Kostenfaktor zu begreifen, sondern als etwas, dass unser Leben im Positiven prägt.

Stadt Land Food: Weil die allzu flüchtige, billige Ernährung unser Leben sonst im Negativen prägen wird?

Patrick Wodni: Im Moment ist es so, dass wir Ressourcen verbrauchen, die uns dauerhaft gar nicht zur Verfügung stehen. Wir können jetzt einfach so tun, als wären diese Ressourcen für immer vorhanden. Dann werden wir uns aber irgendwann vor Tellern wiederfinden, die auch im Blade Runner serviert werden könnten.